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Scetches of Tucholsky

  

Aufführung des Literaturkurses

Schauen wir uns einmal das Programmheft an: Ein kriegsversehrter Soldat in der Kneipe belauscht einen Ideologen beim Redenhalten, "Himmlische Nothilfe", „Nur“, der „Sinn des Lebens und das Wissen über uns selbst: Zeitverschwendung"? – Ach so: wir begeben uns an diesem Abend in die Weimarer Republik, in die Zeit Tucholskys, - oder etwa nicht?

In der vergangenen Woche fanden die Aufführungen des Literaturkurses (Q1) unter der Leitung von Klaus Posingies statt. 16 Schülerinnen und Schüler hatten sich seit Monaten intensiv Gedanken gemacht, welche Texte sie aufführen und auf welche Weise sie sie inszenieren wollten.

Der Abend fängt mit einer Spiegelszene an, in der ein Ehepaar (Laura Krug und David Klein) sich auf der Bühne über die anderen Zuschauer unterhält. Wir fühlen uns ertappt, hatten wir nicht eben auch im Alten Musiksaal geschaut, wer auch so alles da ist? Endlich wieder eine Literaturkursaufführung am Hittorf-Gymnasium, viele gut gelaunte Menschen zusammen in einem Raum, Gespräche vor, zwischen und nach dem Theater mit Limo und Bier!

Von da an fächert sich eine Vielfalt an lustigen, nachdenklich stimmenden, politischen Themen auf, die durch ihre Pointiertheit und ihr Tempo überraschen.
Der Nationalsozialist, der vor Gericht aussagen soll (eindrücklich gespielt von Joscha Kollet), die nach Glück Suchenden (Sofie Grenz und Miguel Küdde), die Bierseligen, die gröhlend der Oma ihr klein‘ Häuschen versaufen wollen (Leon Mai, Johann West, Miguel Küdde) und im Kontrast dazu die eloquenten Dozenten (David Klein und Ida Anish Kastens), die das deutsche Liedgut penibel analysieren. Der gestrenge Oberengel (Anish Kastens) auf der Himmelsleiter, der dem Neuankömmling im Wölkchenanzug (Amelie Netta) erst einmal erklären muss, warum es zwei Weihnachtsmänner gibt, schüchtert uns alle etwas ein.

Als in einer Szene eine Matura-Prüfung vorgeführt wird, die in einer quasireligiösen Schwärmerei des Prüflings (Laura Krug) Hitler gegen Goethe ausspielt, bleibt den Zuhörer*innen fast das Lachen im Halse stecken. In der besten Szene des Abends (gespielt von David Klein, Anish Kastens, Laura Krug) unterbrechen sich zwei Menschen ständig beim Erzählen eines Witzes und steigern sich in gegenseitige Wut hinein, da hört man es im Publikum tuscheln: „Das ist ja wie bei meinen Eltern!“. Auf bestürzende und komische Weise hat das alles viel mit uns zu tun, obwohl die Texte fast 100 Jahre alt sind.

Mit musikalischen Zwischenspielen am Flügel holt uns Luca Zimnick auf höchst elegante und luftig-lässige Weise von den durch die Szenen verursachten Stimmungen des Lachens oder Nachdenklichseins wieder in einen Zustand der gespannten Aufmerksamkeit und Klarheit zurück: Worum geht es wohl in der nächsten Szene?

Und als am Schluss der gesamte Literaturkurs die Frage Tucholskys „Ist das Publikum denn wirklich so dumm?“ in einer Publikumsbeschimpfung in den Zuschauerraum stellt, spätestens da wird uns bewusst, wie aktuell wir seine Texte verstanden haben und auf welche Weise sie uns heute noch etwas zum Bewusstsein bringen, weil Tucholsky ja gesagt hat: „Es geht nirgendwo merkwürdiger zu als auf der Welt“.

A. Follak (Text), H. Kehlbreier (Fotografien)

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